20.08.2021
Traditionell zur Bundestagswahl befragt der Bundesverband Praktizierender Tierärzte (bpt) die im Bundestag vertretenen Parteien zu aktuellen berufspolitischen tierärztlichen Themen, dieses Jahr unter anderem, ob sie eine Kategorisierung von Antibiotika, wie sie von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) für Menschen und Tiere vorgeschlagen wird, befürworten. Erfreulich ist, dass bis auf die SPD, die bislang nicht geantwortet hat, alle angefragten Parteien den von der EU-Kommission vorgelegten wissenschaftlich fundierten Vorschlag der EMA für die Kategorisierung der Antibiotika unterstützen, der in Abstimmung mit der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), dem Europäischen Zentrum für Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC), der Welttiergesundheitsorganisation (OIE) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erarbeitet wurde.
"Die klaren Aussagen der Bundesparteien zu dem in der
Diskussion stehenden Nachfolgerechtsakt zur EU-Tierarzneimittelverordnung
2019/6 sind ein deutlicher Fingerzeig und bestärken uns in unserer Forderung
gegenüber dem EU-Parlament, den rechtssystematisch abgeklärten EMA-Vorschlag in
der Sitzung Mitte September anzunehmen", erklärt bpt-Präsident Dr. Siegfried
Moder.
Mitte Juli stimmte der zuständige Ausschuss für
Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) des
EU-Parlaments gegen den von der EU-Kommission vorgeschlagenen delegierten
Rechtsakt über "Kriterien für die Einstufung antimikrobieller Mittel, die für
die Behandlung bestimmter Infektionen beim Menschen vorbehalten sind".
Mehrheitlich im Ausschuss angenommen wurde dagegen ein vom zuständigen
ENVI-Berichterstatter, Martin Häusling (MEP, Bündnis90/Die Grünen), eingebrachter Entschließungsantrag mit
dem Ziel, die Kriterien noch strenger zu gestalten und so ein weitreichendes
Verbot des Antibiotikaeinsatzes bei Tieren durchzusetzen. "Selbstverständlich sind auch wir für einen restriktiven
Antibiotikaeinsatz in Veterinär- und Humanmedizin, doch hier geht es darum
sicherzustellen, dass jedes Tier auch weiterhin behandelt werden kann, wenn es
krank ist", stellt Moder fest. "Die Abgeordneten haben offensichtlich verkannt, dass Antibiotikaklassen,
die auf die Reserveliste gesetzt werden, nicht nur für lebensmittelerzeugende
Tiere verboten werden, sondern für alle Tierarten, sofern nicht gleichzeitig
die bereits vor zwei Jahren in Kraft getretene EU-Tierarzneimittelverordnung noch
kurzfristig vor dem Start am 28. Januar 2022 geändert wird."
Die Direktorin
der Generaldirektion Gesundheit (DG SANTE) in der EU-Kommission, Dr. Sabine
Jülicher, hatte darauf bereits bei der Anhörung im Europaparlament am 28. Juni
hingewiesen: "Wenn dieser Wirkstoff auf der Liste der Reserveantibiotika für
Menschen ist, dann ist er den Menschen vorbehalten und darf dann in keiner
Tierart verwendet werden. Es ist also ein entweder oder." Auch das Bundeslandwirtschaftsministerium
und viele seit Jahren mit der Gesetzgebung vertraute Verbände teilen diese
Einschätzung. "Nehmen die EU-Parlamentarier in ihrer Sitzung Mitte September also
den ENVI-Antrag ohne die notwendigen umfangreichen Änderungen in der EU-VO
2019/6 an, geschieht genau das, was wir befürchten", erläutert Moder. "Wesentliche
Wirkstoffe gehen dann für die Veterinärmedizin verloren und die direkten
Folgen - insbesondere für die Behandlung von vielen
Tierarten, wie Meerschweinchen, Exoten, Zootieren, Pferden u.v.a. – wären dramatisch.
Es entstünde sogar die abstruse Situation, dass Nutztiere noch über Jahre bis
zum Entzug der Marktzulassungen der betreffenden Wirkstoffe wie bisher
behandelt werden könnten, die anderen Tierarten jedoch schon ab dem nächsten
Jahr dem dann schon greifendenden Umwidmungsverbot unterlägen und nicht mehr
behandelt werden könnten. Grund dafür: Das Umwidmungsverbot greift sofort, wenn
entsprechende Wirkstoffe nach dem jetzt diskutierten delegierten Rechtsakt für die
Humanmedizin reserviert werden“, so Moder. "Vor allem drängt sich jedem, der
die EU-VO 2019/6 im Detail kennt und die Diskussion in den letzten 10 Jahren
begleitet hat, die Frage auf, wie alles Notwendige in nur vier Monaten bewerkstelligt
werden soll, damit es nicht zum Therapienotstand in der Veterinärmedizin kommt.“
Die
Antworten der Bundesparteien im Wortlaut (aufgeführt nach Fraktionsstärke im
Deutschen Bundestag) zu folgender Frage:
Befürwortet
die Partei eine Kategorisierung von Antibiotika, wie sie von der EMA für
Menschen und Tiere vorgeschlagen wird und kein Verbot weiterer Wirkstoffklassen
für die Tierhaltung (Kleintiere, Pferde und Nutztiere)?
CDU/CSU
Die Reduzierung des Einsatzes von Antibiotika,
insbesondere sogenannter Reserve-Antibiotika, ist im Interesse der Gesundheit
von Mensch und Tier sehr wichtig. Jeder Antibiotikaeinsatz fördert die Bildung
von Resistenzen. Wir werden deshalb die erfolgreiche Antibiotika-Minimierungsstrategie
fortsetzen und weiterentwickeln.
Vor diesem Hintergrund hat die EU-Kommission auch einen Vorschlag
erarbeitet, bestimmte Reserveantibiotika für den Einsatz bei Schwerkranken in
der Humanmedizin zu reservieren. CDU und CSU unterstützen den Ansatz.
Reserveantibiotika sind Arzneimittel der letzten Wahl und werden verabreicht,
wenn sonst nichts mehr wirkt. Die Reserveliste muss aber wissenschaftlich
fundiert sein. Es darf nicht zu einem Therapie-Notstand in der Tiermedizin
kommen, denn auch kranke Tiere müssen behandelt werden können. Gleichzeitig
müssen auch die Anstrengungen in der Humanmedizin zur Reduzierung des
Antibiotikaeinsatzes intensiviert werden, denn die Resistenzproblematik kann
nur über den One-Health-Ansatz, der die Gesundheit und die Behandlung von
Menschen und Tieren gemeinsam betrachtet, gelöst werden.
FDP
Die Antibiotikabehandlung von Nutztieren wird
bereits systematisch erfasst und hat zu einem deutlichen Rückgang des
Antibiotikaeinsatzes in der landwirtschaftlichen Tierhaltung geführt. Wir Freie
Demokraten bewerten es positiv, dass viele Tierhalter bereits langfristige
Verträge mit Tierärzten eingehen, um eine bestmögliche veterinärmedizinische
Beratung und Betreuung zu gewährleisten. Wir wollen gemeinsam mit der Branche
stets praxistaugliche Lösungswege finden, um den Einsatz von kritischen
Antibiotika in der Tierhaltung weiter zu minimieren. Dazu wollen wir
beispielswiese alternative Therapiemöglichkeiten wie etwa CE-Kulturen oder
Phagen unter der Berücksichtigung neuster wissenschaftlicher Erkenntnisse
zulassen und in die praktische Anwendung begleiten. Grundsätzlich setzen
wir uns für europaweit gleichberechtigte Therapiemöglichkeiten in der
Nutztierhaltung ein.
Wir Freie Demokraten sind der Auffassung, dass
für die Tiermedizin zugelassene Antibiotika grundsätzlich auch in Zukunft
weiter zur Behandlung zur Verfügung stehen müssen. Ein weitreichendes
Verbot würde dem Tierwohl erheblich entgegenstehen und könnte
schlimmstenfalls den Tod vieler Tiere bedeuten.
Wir setzen uns für eine Klassifizierung von
Antibiotika auf wissenschaftlicher Grundlage ein, wie es bereits ein Kommissionsvorschlag
vorsah, welcher auch mit der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) sowie EFSA,
ECDC, OIE und WHO abgestimmt war.
Die Linke
Für DIE LINKE ist wichtig, dass Reserveantibiotika aller
Wirkstoffklassen aus der Tierhaltung im Grundsatz ferngehalten werden und der
"One Health"-Ansatz ernstgenommen wird. Die Reduzierung des Einsatzes
von Antibiotika muss - auch zum Schutz vor Resistenzen - hohe Priorität haben.
Allerdings fängt die Umsetzung dieses Zieles bei der Prävention von
Tiererkrankung an, einschließlich besserer Haltungsbedingungen. Die Behandlung
ganzer Bestände muss die Ausnahme werden. Die tierärztliche Beratungsleistung
gegenüber Tierhaltenden muss höheres Gewicht bekommen. Die vier Kategorien der
EMA scheinen aus unserer Sicht geeignet. Sich ergebende Therapienotstände sind
zu analysieren und Lösungen im Sinne einer Minimierung des Resistenzrisikos zu
sichern. Darüber hinaus muss die Forschung von Alternativen weiter intensiviert
werden und auch die Monopolisierung von Produktionsstätten muss endlich
adressiert werden. Versorgungsengpässe weisen sehr deutlich darauf hin, dass
hier dringender Handlungsbedarf hinsichtlich der Versorgungssicherheit mit
Tierarzneimitteln besteht.
B90/Grüne
Um Antibiotika gezielt einzusetzen und Resistenzen zu vermeiden,
sollen vorrangig kranke Einzeltiere behandelt werden. Reserveantibiotika sollen
der Humanmedizin vorbehalten werden, wobei kranken Tieren natürlich gezielt
geholfen werden muss. Das deckt sich mit Empfehlungen der EMA, bestimmte
Kategorien bei Tieren nur dann zum Einsatz kommen zu lassen, wenn die öffentliche
Gesundheit sonst gefährdet ist.
Dr. Siegfried Moder
bpt-Präsident Tel. 0172 / 36 73 002
Heiko Färber
bpt-Geschäftsführer
Tel. 0170 / 85 65 248