14.11.2022
Anlässlich der heutigen EuroTier-Eröffnungspressekonferenz
Im Spannungsfeld zwischen gesundheitlichem Verbraucherschutz, Tierschutz und Wirtschaftlichkeit hat die Gesundheit der landwirtschaftlichen Nutztiere eine Schlüsselfunktion. Von der Tiergesundheit hängt in besonderem Maße die Gesundheit des Menschen ab, ihre Erhaltung ist aktiver Tierschutz und gesunde Tiere sind das Unternehmenskapital des Landwirts. Ob Infektionen, Parasitosen, Eutererkrankungen, Stoffwechsel- oder Fruchtbarkeitsprobleme, all das beeinträchtigt die Leistungsfähigkeit der Tiere und damit die wirtschaftliche Situation des landwirtschaftlichen Betriebs. Die Basis des landwirtschaftlichen Erfolgs ist und bleibt deshalb der gesunde Tierbestand, für dessen Erhaltung der betreuende Tierarzt inzwischen neben medizinischem Fachwissen immer mehr Beratungskompetenz in Haltungs- und Fütterungsfragen einbringen muss.
Tierärztlicher Nachwuchs fehlt
Diesen immer komplexeren tierärztlichen
Anforderungen steht jedoch ein akutes Problem gegenüber: der Tierärztemangel.
Von den derzeit rund 22.000 praktizierenden Tierärztinnen und Tierärzten in
Deutschland (davon rund 12.000 Praxisinhaber/-innen und 10.000 angestellte
Tierärzte/-innen) arbeiten nur noch etwa 3.500 in der tierärztlichen Versorgung
der landwirtschaftlichen Nutztiere. „Die tierärztlichen Ressourcen werden
besonders im ländlichen Bereich immer knapper, denn der Nachwuchs in der
kurativen Praxis fehlt“, erläutert Heiko Färber, Geschäftsführer des
Bundesverbandes Praktizierender Tierärzte (bpt). Die Gründe dafür sind
vielfältig. Neben dem Wunsch nach Stadtnähe und Work-Life-Balance spielen bei
der jüngeren Generation die zum Teil immer noch schwierigen Arbeitsbedingungen,
aber auch insuffiziente Auswahlverfahren für Tiermedizinstudierende eine Rolle.
Immer weiter zunehmende gesetzliche Anforderungen und die damit verbundene
Bürokratie verschärfen die Situation noch zusätzlich.
Ein Blick auf die nationale Umsetzung der EU-Tierarzneimittelverordnung bestätigt das. Denn mit der aktuellen (ersten) Novellierung des Tierarzneimittelgesetzes werden nicht nur weitere Meldeverpflichtungen geschaffen, sondern es sollen sogar notwendige antibiotische Behandlungen noch weiter reduziert werden, obgleich in den letzten zehn Jahren der Antibiotikaeinsatz in der (Nutz-)Tierhaltung bereits um mehr als 60 Prozent reduziert wurde. Diese Leistung belegt doch mehr als eindrucksvoll, dass Tierärzte/-innen und Tierhalter/-innen dem One-Health-Gedanken mit Nachdruck verpflichtet sind. Eine weitere Reduktion von notwendigen antibiotischen Behandlungen birgt die ernsthafte Gefahr negativer Auswirkungen auf die Tiergesundheit und damit den Tierschutz. Das wurde vom bpt erst kürzlich in der Sachverständigenanhörung des Bundestagsausschusses für Ernährung und Landwirtschaft am 17. Oktober d. J. auch nochmal sehr deutlich gemacht.
Flächendeckende Versorgung gefährdet
„Das alles ist ein großes Dilemma, denn nicht
nur die zum Teil erfolglose Suche nach angestellten Tierärzten/-innen macht
Probleme. Erschwerend hinzu kommt die Altersstruktur in den Praxen mit nicht
mehr zu realisierenden Nachfolgeregelungen. Die flächendeckende tierärztliche
Versorgung wird, wenn das alles so bleibt, schon bald nicht mehr gewährleistet
werden können,“ prognostiziert Färber. „Wenn aber kranke oder verletzte Tiere
wegen mangelnder tierärztlicher Kapazitäten nicht mehr adäquat behandelt werden
können, ist das eindeutig tierschutzrelevant“, so Färber weiter.
Um dieser für den Tierschutz gefährlichen Entwicklung in Deutschland entgegenzusteuern, sind aus Sicht der Tierärzteschaft die von der Bundesregierung mit ihrer Fachkräftestrategie vorgesehenen erleichterten Rahmenbedingungen für die Einwanderung von Fachkräften allein nicht ausreichend. Vielmehr braucht es eine zügige Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes, um die immer größer werdende Gruppe von angestellten Tierärzten/-innen flexibler einsetzten zu können, und einen massiven Bürokratieabbau, damit die immer weniger zur Verfügung stehende Arbeitszeit auch tatsächlich für die Arbeit am Tier und damit die Tiergesundheit verwendet werden kann.
Bestandsbetreuung endlich gesetzlich umsetzen
„Der Tiergesundheit und damit dem Tierschutz
wäre überdies mehr damit gedient, die knappen Ressourcen in der Nutzierpraxis
für eine Intensivierung der tierärztlichen Bestandsbetreuung einzusetzen“,
erläutert Heiko Färber. Bereits seit April 2021 sind im EU-Tiergesundheitsrecht
verpflichtende tierärztliche Bestandsbesuche verankert. Leider wurde diese
sinnvolle EU-Vorgabe bislang nicht in nationales Recht überführt. „Die vom bpt
und allen tierärztlichen Verbänden unisono geforderte zügige Umsetzung der
Bestandsbetreuung hätte einen viel schnelleren und nachhaltigeren Effekt auf
die Gesundheitssituation in den landwirtschaftlichen Betrieben und würde auch
effektiver zu einer weiteren Reduzierung des Arzneimitteleinsatzes beitragen
als weitere Meldepflichten mit fragwürdigem Nutzen“, bekräftigt Färber. Denn
regelmäßige und engmaschige Bestandsbesuche leisten sowohl für das Tierwohl als
auch für den gesundheitlichen Verbraucherschutz und die rechtliche Absicherung
des Landwirts als Lebensmittelproduzent wertvolle Dienste. Sie tragen außerdem
dazu bei, dass mit gesunden Tieren qualitativ hochwertige Lebensmittel
wirtschaftlich rentabel produziert werden können, denn mit der Integration der
Bestandsbetreuung durch den Hoftierarzt in den Produktionsprozess lassen sich Behandlungskosten senken, ein gezielterer Einsatz von
Tierarzneimitteln sichern und gleichzeitig der Einsatz von Antibiotika weiter
optimieren. Die tierärztliche Arbeit wird damit für den Landwirt vom
Kosten- zum Rentabilitätsfaktor.
Die für die Bestandsbetreuung erstellten (fachlichen) Leitlinien wurden bereits in 2008 vom bpt in Zusammenarbeit mit Bund und Ländern erarbeitet und in 2019 aktualisiert. Sie sind hier abrufbar.
Innovationen für mehr Tierwohl
Parallel zu den oft langwierigen
ordnungsrechtlichen Wegen können technische Innovationen für artgerechte
Haltungsbedingungen und damit für eine Verbesserung des Tierschutzes sorgen.
Das ist Heiko Färber ein großes Anliegen: „Die Animal Welfare Awards, die der
bpt gemeinsam mit der DLG verleiht, dienen genau diesem Zweck. Von den auf der
EuroTier präsentierten Neuentwicklungen/ Innovationen werden dafür solche
ausgewählt, die in besonderem Maße dem Tierwohl und der Tiergesundheit dienen.“
Die drei diesjährigen Gewinner widmen sich der automatisierten Früherkennung
respiratorischer Erkrankungen im Schweinestall, der Zitzengesundheit und dem physiologischen
Abliegen/Aufstehen von Milchrindern in der Liegebox. „Mit diesen
beeindruckenden Innovationen erreichen wir für die Tiere viel schneller was als
mit Ordnungsrecht. Für mich ist das gelebte One Health-Arbeit“, freut sich
Färber.
Termin vormerken:
Verleihung
des „Animal Welfare Awards“ im Rahmen des International Animal Health Events am
Donnerstag, den 17.11.2022, 18.30 Uhr bis 19.30 Uhr, Saal 1 b (Saalebene),
Convention Center.
Kontakt:
Heiko
Färber (bpt-Geschäftsführer)
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