30.08.2021
Das
Europaparlament entscheidet im September, ob vier für die Human- und
Tiermedizin gleichermaßen wichtige antibiotische Wirkstoffklassen für die
Behandlung von Tieren verboten werden sollen. Aus Tierarztsicht drohen
gravierende Folgen für die Gesundheitsversorgung von Klein-, Heim- und
Nutztieren sowie Pferden: Bestimmte Krankheiten können dann nicht mehr
behandelt werden. Deutsche Europaabgeordnete spielen in der Vorbereitung und
Unterstützung des Verbotsantrags eine wichtige Rolle. Sie positionieren sich
dabei gegen einen wissenschaftsbasierten Regulierungsvorschlag der
EU-Kommission – und auch gegen Positionen ihrer eigenen Parteien.
Der
Bundesverband Praktizierender Tierärzte (bpt) bittet deshalb die
Bundesvorsitzenden von CDU, Armin Laschet, und CSU, Dr. Markus Söder, sowie von
Bündnis 90/Die Grünen, Annalena Baerbock und Robert Habeck, um eine
Klarstellung der Position ihrer Parteien im Vorfeld der finalen Abstimmung im
Europäischen Parlament.
„Unterstützen
Sie den von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) erarbeiteten, wissenschaftsbasierten Kriterienkatalog der
EU-Kommission, der die im internationalen Vergleich weitreichendste rechtliche
Regulierung des Antibiotikaeinsatzes in der Tiermedizin darstellt? Oder
unterstützen Sie den Gegenantrag, der vorsieht, dass vier – für die Human- und
Tiermedizin gleichermaßen wichtige – antibiotische Wirkstoffklassen für die
Tiermedizin verboten werden sollen?“, fragt bpt-Präsident Dr. Siegfried Moder
die Parteivorsitzenden.
Die
Sorge der Tierärzte: „Wenn der Verbotsantrag angenommen wird, könnte das dazu führen, dass wir kranke Klein-,
Heim- und Nutztiere sowie Pferde nicht mehr behandeln können.
Tiere müssten im Zweifelsfall sogar euthanasiert werden, weil bei bestimmten
Indikationen die erforderlichen Tierarzneimittel nicht mehr zur Verfügung
stehen“, sagt Moder und schreibt an die Parteivorsitzenden: „Sie können sich vorstellen, dass uns dieses Szenario
mit großer Sorge erfüllt, v. a. weil es unserem Selbstverständnis als
Tierärzte/innen, kranken Tieren helfen zu wollen und auch zu müssen, zuwiderläuft.“
Eine
Klarstellung der Parteivorsitzenden ist aus bpt-Sicht notwendig, weil deutsche
EU-Abgeordnete sich bei diesem Thema gegen Parteipositionen stellen. So hatte
Bündnis 90/die Grünen auf bpt-Anfrage zum Thema EU-Antibiotikaregulierung Mitte
August geantwortet (Zitat):
„Um Antibiotika gezielt
einzusetzen und Resistenzen zu vermeiden, sollen vorrangig kranke Einzeltiere
behandelt werden. Reserveantibiotika sollen der Humanmedizin vorbehalten
werden, wobei kranken Tieren natürlich gezielt geholfen werden muss. Das
deckt sich mit Empfehlungen der EMA (Hervorhebung bpt), bestimmte
Kategorien bei Tieren nur dann zum Einsatz kommen zu lassen, wenn die öffentliche
Gesundheit sonst gefährdet ist.“
Der
Verbotsantrag im Europaparlament wurde aber federführend vom Grünen
EU-Abgeordneten Martin Häusling aus Hessen initiiert. Dieser Antrag weist die EMA-Empfehlungen
als „unzureichend“ zurück.
Auch
bei der CDU/CSU gibt es abweichende Positionen. Die offizielle Parteiantwort
auf eine bpt-Anfrage lautete (Zitat):
„CDU und CSU unterstützen
diesen Ansatz (Anmerkung bpt: die Kriterien der EMA). Reserveantibiotika sind
Arzneimittel der letzten Wahl und werden verabreicht, wenn sonst nichts mehr
wirkt. Die Reserveliste muss aber wissenschaftlich fundiert sein. Es darf nicht
zu einem Therapie-Notstand in der Tiermedizin kommen, denn auch kranke Tiere
müssen behandelt werden können.“
Der
Verbotsantrag konnte im ENVI-Ausschuss des EU-Parlaments aber nur eine Mehrheit
erreichen, weil sich die Abgeordneten der EVP-Fraktion, zu der CDU/CSU gehören,
mehrheitlich enthielten.
Auch der CDU-Politiker Dr. Peter Liese, gesundheitspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, hat sich enthalten. Er bestätigt die Sorge der Tierärzte vor gravierenden Folgen bis hin zur Euthanasie. Der Humanmediziner wird in der Westfalenpost vom 21. August 2021 wie folgt zitiert (Passage aus dem Artikel): „Die Frage ist doch: Muss man vielleicht bei einem Tier auf die bestmögliche Behandlung verzichten – oder will man riskieren, dass auch Menschen sterben, weil auch diese Antibiotika irgendwann ihre Wirkung verlieren?“ Liese hat diese Frage für sich beantwortet: Ja, Reserveantibiotika sollen dem Menschen vorbehalten werden – bei der Behandlung von Tieren müsse dann versucht werden, mit normalen Antibiotika zurecht zu kommen: „Im allerschlimmsten Fall muss es eingeschläfert werden. Das ist natürlich hart.“
Angesicht
der zunehmend kontroverseren öffentlichen Diskussion über das drohende
Antibiotikaverbot fordert der bpt eine klare Positionierung der Parteien vor
der finalen Entscheidung im EU-Parlament Mitte September. „Wir Tierärzte
unterstützen ausdrücklich den restriktiven Antibiotikaeinsatz in Veterinär- und
Humanmedizin. Wir haben den Antibiotikaeinsatz europaweit um 34 und in
Deutschland sogar um 60 Prozent reduziert“, betont bpt-Präsident Moder. „Ein
pauschales Verbot ganzer Wirkstoffklassen schränkt die Behandlungsmöglichkeiten
für Tiere aber unverantwortlich ein und wird deshalb von uns abgelehnt.“
Ansprechpartner für diese Meldung:
Dr.
Siegfried Moder, bpt-Präsident
T. 0172 – 367 3002
Heiko
Färber, bpt-Geschäftsführer
T. 0170 – 85 65 248
Um die Öffentlichkeit
auf die Folgen des drohenden Antibiotikaverbots aufmerksam zu machen, hat der
bpt eine Unterschriftenkampagne in den Mitgliedspraxen (wir erwarten über 100.000
Unterschriften – mehr hier) und auch Online (hier)
initiiert (aktuell 309.184 Zeichnungen).
Außerdem informiert er mit Pressemitteilungen.
Auch die Bundestierärztekammer
(BTK) warnt in einer Stellungnahme (hier) vor den Folgen der
Entscheidung. Sie unterstützt die bpt-Kampagne mit einem Musterschreiben direkt
an Tierhalter; ebenso die Landestierärztekammern (z.B. Nordrhein (hier) und Baden-Württemberg (hier)
Mit der Sorge, dass
Tiere nicht mehr adäquat behandelt werden können, sind die Tierärzte nicht allein.
In Deutschland haben sich eine ganze Reihe weiterer Verbände mit entsprechenden
Stellungnahmen an die Öffentlichkeit gewandt:
Auch international
weisen Tierarztverbände auf die durch die EU-Entscheidung drohenden
Behandlungsprobleme hin – dazu gehören: