14.09.2021
Innerhalb
von nur vier Wochen haben 643.733 Tierärzte/innen und Tierhalter/innen gegen
das im EU-Parlament diskutierte weitreichende Verbot von bestimmten Antibiotika
für Tiere gestimmt. Die dazu vom Bundesverband Praktizierender Tierärzte (bpt)
initiierte Unterschriftenkampagne, über die in den letzten Wochen erfreulich
viel berichtet wurde, richtet sich insbesondere gegen einen vom
Umweltausschusses des EU-Parlaments (ENVI) initiierten Entschließungsantrag,
der im Kern die Behandlung von kranken Tieren gefährden könnte. Über den Antrag
stimmt das EU-Parlament am kommenden Mittwoch ab. bpt-Präsident Dr. Siegfried
Moder und Geschäftsführer Heiko Färber übergaben die gesammelten Unterschriften
vergangene Woche an den Vorsitzenden der EVP-Fraktion im EU-Parlament, Manfred
Weber, und an die Vizepräsidentin des EU-Parlaments und stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende
Nicola Beer und warben dabei nochmals eindringlich für die Zustimmung zum
Vorschlag der EU-Kommission vom 26. Mai für einen Delegierten Rechtsakt (DR) zur
„Festlegung von Kriterien für die Bestimmung antimikrobieller Wirkstoffe, die
der Behandlung bestimmter Infektionen beim Menschen vorbehalten sind“. Ein Übergabetermin
mit der S&D-Fraktion im EU-Parlament ist angefragt.
„Die
nahezu 650.000 Unterschriften sind ein fulminantes Ergebnis und ein ganz klarer
Auftrag für uns, um bei den EU-Abgeordneten für eine Ablehnung des
Entschließungsantrags (Veto) des ENVI zu werben“, erklärt Moder. „Da in den
letzten Tagen viel Falsches zu unserer Kampagne gesagt und geschrieben wurde,
will ich noch einmal den Grund für unsere Forderung deutlich machen: Entgegen
dem Entschließungsantrag, erarbeitet vom Berichterstatter MEP Martin Häusling,
ist der DR der Kommission in seiner jetzigen Form ein wissenschaftlich fundierter
und ausgewogener Vorschlag, der einen massiven Beitrag für die Humangesundheit im
Sinne des One-Health-Ansatzes leistet, ohne jedoch Kollateralschaden bei der Tiergesundheit
zu verursachen.“
In
diesem DR werden bereits viele Wirkstoffklassen für die Humanmedizin reserviert,
die damit gemäß EU-Tierarzneimittelverordnung VO (EU) 2019/6 für den Einsatz
bei Tieren verboten sind und auch nicht mehr umgewidmet werden können. Die zugelassenen
Medikamente der wenigen verbliebenen Wirkstoffklassen können dann auch nur sehr
einschränkt eingesetzt werden, da es dafür jetzt schon in vielen europäischen
Ländern erhebliche gesetzliche Hürden gibt (u. a. Antibiotikaleitlinien,
Antibiogrammpflicht etc.). „Das Veto des ENVI kann ich deshalb überhaupt nicht
nachvollziehen“, macht Moder sein Unverständnis deutlich. „Denn mit dem DR wird
doch die Humangesundheit zusätzlich geschützt und der Tiermedizin würden nur
noch ganz wenige Wirkstoffklassen zur Verfügung stehen, die auch nur im
Einzelfall eingesetzt werden dürfen.“
Ein
weiterer wichtiger Grund gegen das ENVI-Veto und für den DR zu stimmen ist,
dass der DR das Ergebnis monatelanger wissenschaftlicher Abstimmungen zwischen den
Experten von Europäischer Arzneimittelagentur (EMA), Europäischer Behörde für Lebensmittelsicherheit
(EFSA), Europäischem Zentrum für Prävention und Kontrolle von Krankheiten
(ECDC), Welttiergesundheitsorganisation (OIE) und Weltgesundheitsorganisation
(WHO) ist. Also endlich einmal ein echter One-Health-Ansatz, der noch dazudie in medizinischen Fragen
notwendige Flexibilität bietet, um auf Veränderungen der Resistenzsituation
reagieren zu können. Dass manche im Europäischen Parlament offensichtlich ihren
eigenen wissenschaftlich gut aufgestellten europäischen Agenturen nicht
vertrauen, ist jedenfalls für Moder nur schwer nachvollziehbar.
Nicht
unerheblich für die Humangesundheit ist aber auch, dass Art. 118 (1) der VO
(EU) 2019/6 Importbeschränkungen für tierische Erzeugnisse vorsieht, die mit
einem für die Humanmedizin als kritisch eingestuften Antibiotikum behandelt
wurden. „Diese Liste kann vor der Welthandelsorganisation (WTO) nur Bestand
haben, wenn sie auf einwandfreier wissenschaftlicher Grundlage erarbeitet
wurde. Ich kann nicht glauben, dass die EU-Parlamentarier auf dieses wichtige
Instrument zum Schutz der Humangesundheit verzichten wollen“, macht Moder
deutlich. Denn die Reziprozitätsklausel ist einer der großen Erfolge des
EU-Parlaments bei den Triologverhandlungen zur VO (EU) 2019/6 im Jahr 2018 gewesen.
„Dieser Erfolg würde mit der Ablehnung des DR leichtfertig aufs Spiel gesetzt“.
Auch wissenschaftliche Fakten sprechen für den DR: Nach
Auffassung des (deutschen) Forschungsnetzwerks Zoonotische
Infektionskrankheiten, dem führende Wissenschaftler aus Human- und Tiermedizin
angehören, liegt bislang nur wenig gesicherte Evidenz
darüber vor, in welchem Umfang und für welche Wirkstoffe entsprechend
restriktive Maßnahmen, wie ein Verbot von sog. Reserveantibiotika in der
Tierhaltung, eine populationsbezogene Auswirkung auf die antimikrobielle
Resistenz beim Menschen haben. Außerdem fehlt den
Wissenschaftlern zufolge bisher Evidenz dafür,
dass ein pauschales Verbot des Einsatzes von Arzneimitteln mit den
Wirkstoffgruppen Fluorchinolone, Cephalosporine der 3. und 4. Generation,
Polypeptide sowie Makrolide bei Tieren das Vorkommen von Resistenzen in der
Humanmedizin substanziell und nachhaltig beeinflusst.
Im Gegensatz zum
ENVI-Entschließungsantag spielt der Delegierte Rechtsakt der EU-Kommission
Human- und Tiergesundheit nicht gegeneinander aus, sondern ermöglicht
einerseits eine flexible Reaktion auf Veränderungen der Resistenzsituation,
stellt aber andererseits auch sicher, dass kranke Tiere weiterhin adäquat
behandelt werden können. „Genau darum geht es uns, deshalb bitte ich die
Abgeordneten des Europäischen Parlaments bei der Abstimmung am Mittwoch für den
Delegierten Rechtsakt der EU-Kommission zu stimmen“, so bpt-Präsident Dr.
Siegfried Moder.
Ansprechpartner für diese Meldung:
Dr. Siegfried Moder, bpt-Präsident
T. 0172 – 367 3002
Heiko Färber, bpt-Geschäftsführer
T. 0170 – 85 65 248
Fotos zum Download:
Unterschriftenübergabe Manfred Weber 1 ( © bpt/Urban)
Unterschriftenübergabe Manfred Weber 2 ( © bpt/Urban)
Unterschriftenübergabe Nicola Beer ( © bpt/Kutschki)
(kostenfreie Nutzung mit Copyright-Angabe im Zusammenhang mit der Pressemitteilung)
zur Entscheidung des Europäischen Parlaments über die Annahme/Ablehnung des Delegierten Rechtsakts der EU-Kommission
Donnerstag, den 16.09.2021, um 9.30 Uhr
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